Volker Kriegsmann, Oboist im Beethoven Orchester, entdeckt „Yoga mit Beethoven“

Von Bernhard Hartmann

erschienen im Bonner General Anzeiger

Noch einmal die „alte Hirtenweise“ aus Richard Wagners „Tristan und Isolde“ erklingen zu lassen, jene tief melancholische und wunderschöne Englisch-Horn-Melodie, wäre ein Traum für Volker Kriegsmann. Seit 1980 spielt der Musiker das Englisch-Horn und die Oboe beim Beethoven Orchester, hat Jahre seines Lebens auf dem Podium und im Orchestergraben der Oper zugebracht. Dass diese Orte für ihn wie für alle seine Kollegen derzeit wegen der Pandemie eher tabu sind und allenfalls für Proben und Streaming-Konzerte genutzt werden können, schmerzt ihn natürlich. Die Krise trifft den 64-Jährigen sozusagen auf den letzten Metern seiner Karriere als professioneller Orchestermusiker. Im September 2022 ist Schluss. Voraussichtlich. „Sollte dann der ‚Tristan’ noch einmal auf dem Probenplan stehen, wäre ich schon noch gerne dabei“, sagt Kriegsmann mit einem verschmitzten Lachen.

Auch wenn Wagners traurige Hirtenweise zu Kriegsmanns erklärten Lieblingsstellen der Opernliteratur zählt, wirkt er selbst ganz und gar nicht schwermütig, sondern aufgeräumt, ja geradezu erfrischend gut gelaunt. Vielleicht weil er überzeugter Rheinländer ist. Als leidenschaftlicher Karnevalist hat er vor 14 Jahren zusammen mit anderen „jecken“ Bonner Orchesterkollegen den Ludwigschor gegründet, der lange eine Institution im Bonner Karneval war. Vielleicht hat die positive Ausstrahlung aber auch mit seiner Leidenschaft für Yoga zu tun.

Zu Beginn waren die Übungen eine willkommene Möglichkeit, berufsbedingte Schmerzen zu bekämpfen. „Wenn man im Orchestergraben sitzt und das Licht nicht optimal ist, verkrampft man während des Spielens schon mal“, hat er damals schmerzhaft feststellen müssen. Die Yoga-Übungen zeigten überraschend schnell Wirkung. Nachdem die Schmerzen verpufft waren, wollte der Musiker die Übungen jedoch nicht absetzen wie ein lästiges Medikament. Im Gegenteil: „Ich habe mich dann nach den Vorstellungen am späten Abend immer noch mal für ein Stündchen auf die Matte gelegt. Mich hat es nicht mehr losgelassen, weil es mir insgesamt sehr viel besser ging.“

Kriegsmann hatte dann das Glück, eine Yoga-Lehrerin zu finden, die mit ihrem Kursangebot auf seine unregelmäßigen Dienste, die er als Berufsmusiker absolvieren muss, eingehen konnte. Neben den Vorteilen, die Yoga für den Körper bringt, profitierte Kriegsmann auch davon, dass die Übungen die Psyche im Gleichgewicht halten. „Ich habe extrem gute Nerven“, sagt er.

Im Laufe der Jahre hat sich der vierfache Vater immer tiefer in die Welt des Yoga hineinbegeben, lernte Asanas, Chakren oder Mantras zu verstehen, konzentrierte sich auf Meditationen, die „einen herunterbringen und ausgeglichen machen“. Die Übungen halfen ihm auch bei Konzerten und Opernvorstellungen, „wenn man als Bläser schon mal 200 Takte Pause hat und dann beim nächsten Einsatz wieder zu hundert Prozent da sein muss. Das Meditieren lenkt nicht ab, sondern bringt einen in die Gegenwart“.

Für Kriegsmann war der nächste Schritt dann, seine guten Erfahrungen, die er über die Jahre beim Praktizieren gemacht hatte, mit anderen Menschen zu teilen. Seit 2008 ist er ausgebildeter Yoga-Lehrer. Im Garten seines Hauses in Friesdorf können die Nachbarn ihn während der warmen Jahreszeit regelmäßig mit Schülern bei Übungen beobachten, im Winter steht im Haus ein geräumiges Zimmer zur Verfügung. Wegen der Pandemie muss er freilich wie in seinem Musikerberuf auch starke Abstriche machen und kann derzeit nur Kurse online anbieten. Zum Beispiel: „Yoga mit Beethoven“.

Die Sinfonien des Komponisten hätten eine zeitliche Dimension, die den Yoga-Übungen und -Sequenzen sehr entgegenkämen, erläutert Kriegsmann. „Das Angebot ist für Leute, die Yoga praktizieren und Beethoven entdecken wollen.“ Aber auch für solche, die Beethoven schon sehr gut kennen, wie seine Kollegen. Die praktizieren nicht nur zu den Online-Beethoven-Videos, sondern nehmen auch gern an den analogen Kursen teil, die Kriegsmann üblicherweise an dienstfreien Montagen ohne Beethovens Musik anbietet.

„Yoga mit Beethoven ist auch mein Beitrag zum Beethovenjubiläum“, sagt Kriegsmann. „Wir wollen ja in Bonn Beethoven immer wieder neu entdecken und aus neuen Perspektiven erleben.“ Beethovens Musik wirke da ähnlich wie ein Mantra, „weil sie wie auch die Yoga-Stellungen die verschiedenen seelischen Aspekte, die jeder in sich vereint, zum Ausdruck bringt“. Zum Beispiel bedeutete eine Vorwärtsbewegung in der Welt des Yoga Demut und Hingabe, erläutert er. „Der zweite Satz der siebten Sinfonie fängt mit einem ganz leeren Motiv an, das man sich sehr gut dazu vorstellen kann. Es ist toll zu fühlen, was Beethoven daraus macht. Ich erfahre durch die Musik und die Übung, dass Demut nichts ist, das uns kleinmacht, sondern im Gegenteil neue Welten öffnet. Wie es die zweite Stimme tut, die nach einiger Zeit zur ersten hinzutritt. Man kann sich die Musik hier überziehen wie einen Mantel.“

Anders als Bach, dessen Musik sehr mit dem christlichen Glauben und der Religion verbunden sei, lasse Beethoven Raum für eine andere Form der Spiritualität. „Das ist im Yoga auch so. Es ist eine Technik, die aus der östlichen Kultur kommt, die immer auch die Verbindung zur Spiritualität, zum Göttlichen sucht, aber man ist dabei nicht auf eine Religion festgelegt. Yoga ist eher Psychologie als Religion.“

Rituale gehören dennoch dazu. Denn am nächsten Morgen wird Volker Kriegsmann wieder aufstehen, vielleicht die Musik etwas aufdrehen und zu den Klängen der „Pastorale“ mit dem Sonnengruß die Energie in seinem Körper zum Fließen bringen.

Yoga-Lehrer

Musik und Atemübungen

Das Beethoven-Jubiläum im vergangenen Jahr nahm der Bonner Oboist Volker Kriegsmann zum Anlass, dem Komponisten auf eine ganz neue Art zu begegnen. Er hat buchstäblich am eigenen Leib erfahren, dass die Musik in einer Yogastellung mit dem gesamten Körper wahrgenommen kann. Zu den Yoga-Übungen, die Kriegsmann online anbietet, erklingen die Sinfonien in Einspielungen des Beethoven Orchesters.

Kriegsmann, der 1956 in Köln geboren wurde, studierte bei Wilhelm Meyer und Hans-Jörg Schellenberger und vollendete seine Ausbildung bei Helmut Hucke in in seiner Heimatstadt Köln. Besondere Anliegen sind ihm neben der Oboe die Pflege des Englisch-Horns als Soloinstrument und die Musik Johann Sebastian Bachs. So hat Kriegsmann drei der Cellosuiten Bachs für Englisch-Horn bearbeitet und auf CD eingespielt. Kriegsmann ist verheiratet und hat vier Kinder. ht